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am 22. Februar 2025
Mein Schreibtisch ist meistens voller gelber Klebezettel. Sie heben sich deutlich ab auf dem dunklen Holz meines Schreibtisches. Immer wenn ich im Büro bin, schauen sie mich ganz vorwurfsvoll an, so als ob sie mir jeden Augenblick eine Gardinenpredigt halten könnten. Sie erinnern mich an unerledigte Aufgaben: Anträge, die zu stellen sind, Menschen, die angerufen werden wollen, Aktionen, die vorbereitet werden sollen und vieles mehr. Würden sie sprechen können, so würden sie wohl auffordernd und leicht herrisch zu mir sagen: „Denke dran!“
Diese Klebezettel könnte ich auch Denkzettel nennen, aber der Begriff ist noch negativer besetzt. „Dem verpasse ich einen Denkzettel!“ Hinter diesen Worten steckt keine freundliche Erinnerung. Sie lassen sich besser mit dem folgenden Satz beschreiben: „Ich tue dir so weh, dass du dich an mich erinnern wirst!“ Der Ursprung dieser Redewendung ist aber ein ganz anderer. Er geht auf das 5. Buch Mose zurück. Dort steht in Kapitel 11: „So nehmt nun diese Worte zu Herzen und in eure Seele und bindet sie zum Zeichen auf eure Hand und macht sie zum Merkzeichen zwischen euren Augen.“
Fromme Jüdinnen und Juden verstehen diese Aufforderung nicht symbolisch, sondern wörtlich. Sie befestigen für ihre Gebete kleine Kapseln mit Bibelsprüchen auf die Stirn und am linken Arm. Die Worte Gottes sollen Herz, Seele und Verstand bestimmen. Luther nutzte bei seiner Bibelübersetzung 1522 den damaligen Rechtsbegriff „Denkzettel“. Mit diesem geläufigen Wort wollte er den Bibelinhalt in die Lebenswelt der Menschen übertragen, doch die positive Erinnerungsstütze bekam einen negativen Klang.
Bei politischen Wahlen werden auch oft Denkzettel verpasst. In den Zeitungen heißt es hinterher gerne mal: „Diese Wahl war ein Denkzettel!“ Die Gefühle Enttäuschung, Wut und Angst stehen im Zentrum eines solchen Denkzettels. Ich persönlich finde jedoch, dass die ursprüngliche, biblische Bedeutung viel wichtiger ist. Denn es erinnert mich an die Gebote Gottes, die ich mir immer wieder vor Augen halten soll. Sie erinnern mich als Christen an die Bergpredigt Jesu, wo er diese Gebote ausgelegt hat. Das trägt mich durch das Leben und gibt Orientierung bei Entscheidungen – auch bei Wahlentscheidungen. Das Schönste dabei ist, dass ein solcher Denkzettel einen nicht vorwurfsvoll anschaut. Der Denkzettel Gottes schaut uns liebevoll an, er will nicht weh tun, sondern würde wohl ermutigend zu uns sagen: „Denk an mich!“
Pastor Hendrik Hundertmark, Kirchengemeinde Lemförde