am 18. Dezember 2021
Vorweihnachtszeit in einer Reha-Klinik mit über 400 Betten. Trotz Advent will hier kein richtiges Frohlocken aufkommen. Bei vielen Patient:innen herrscht eher so eine Art persönlicher Lockdown: Corona zeigt uns hier erstmal, was nicht mehr geht.
Ende November tauchten an den fast schmucklosen Flurwänden meiner Station drei vereinsamte Papierengel auf. Schon der Klebestreifen, der sie an der Wand hält, ist größer als die Figur. Weihnachtsstimmung geht anders. Früher war nicht nur mehr Lametta, früher war auch mehr Zuversicht vor´m Fest. Ich empfinde eine eher zunehmende pandemische Schwermut und kann mit einer Krippenidylle in diesem Jahr noch weniger anfangen als jemals zuvor.
Ein Freund, ebenfalls Diakon, schickt mir einen adventlichen Gruß. Eigentlich, schreibt er, wolle er in diesem Jahr gar keine Weihnachtspost verschicken. Weihnachten sei für ihn schon jetzt irgendwie ausgeblendet. All die politischen Debatten mit ihren Intrigen, das ganze Hin und Her wegen der Impfpflicht und die damit verbundenen Schuldzuweisungen mitsamt dem fadenscheinigen sich in Sicherheit wiegen. Er hätte Verständnis, sagt mein Freund, wenn selbst das Kind in der Krippe dieser Missstimmung, dieser dicken Luft ausweichen wolle und seine diesjährige Geburtstagsparty absagen, vorübergehend verschwinden würde. Krippenflucht aus Protest gewissermaßen.
Bei aller Verrücktheit dieses Gedankens überlege ich mir, was mir der Krippenflüchtige zu sagen hat, ohne das nette Narrativ von Bethlehem, Ochs & Esel, Sternenglanz und ohne den Lobgesang himmlischer Heerscharen. Zur Zeit ist mir im Wortsinn am handgreiflichsten der unmissverständliche Ruf zu Solidarität und nach gemeinsamer Verantwortung füreinander: „Liebe Deine Nächsten wie Dich selbst“ und „Alles, was Ihr wollt, dass Euch die Menschen tun, das tut Ihr ihnen auch.“ Wir leben in einer dunklen Zeit. Schön, wenn in diese Dunkelheit ein Licht kommt. Noch schöner, wenn dieses Licht ganz ohne unser Zutun käme. Tut es aber nicht. Die Inzidenzen steigen, das Virus mutiert und täglich sterben weiter Hunderte. In dieser Adventszeit und danach, rund um Weihnachten, geht es mehr um‘s Handeln, um's Machen und Tun. Mir stockt vorübergehend das Lobsingen und Andachtsvolle. Am Abend vor Weihnachten besuchen wir als Familie das örtliche Testzentrum, um uns nicht am Heiligen Abend unterˋm Nordmann gegenseitig als Infekträger beargwöhnen zu müssen. Neben der Krippe und zum Klang von „Stille Nacht“ werden wir hoffentlich dann nicht lautstark unseren Disput weiterführen, wer und warum geimpft ist oder eben nicht. Weihnachten geht anders.
Im Kirchenkreis Diepholz gibt es eine gute Aktion. Viele der Mitarbeitenden sagen via Internet, warum sie geimpft sind. Ich bin geimpft, weil es allein mit dem Beten, die Pandemie möge doch aufhören, bisher offensichtlich nicht geklappt hat. Für Weihnachten wünsche ich mir, dass uns gemeinsam wirklich ein Licht im Dunkeln aufgeht. Sich impfen lassen, das geht selbst mit gefalteten Händen, ohne übrigens auch. Nur sich nicht impfen lassen, das geht eigentlich gar nicht. Weil dann außer Angst und Elend bald gar nichts mehr strahlt. Da nützen dann auch unsere Kerzen am Baum herzlich wenig. Bleiben Sie gesegnet und seien Sie ein Segen in dieser heilandnahen Zeit. Denn Hoffnungsferne gehört nicht zum kommenden Fest. Weihnachten geht anders
Rüdiger Fäth
Diakon im Kirchenkreis Diepholz