am 13. Mai 2023
Beten, was ist das?, fragen mich die Kinder im Kindergarten, wenn ich das erstemal zu ihnen in den Morgenkreis komme und diesen halte. Beten vor dem Essen, muss das sein auf einer Gemeindefahrt, höre ich leise eine Frau im Hintergrund zu ihrer Nachbarin sagen. Beten, um eine gute Zensur für die Klassenarbeit, für einen gelingenden beruflichen Neustart oder nach dem Verlust eines lieben Menschen, all das passiert nur noch selten. Manchmal sind es noch die Fußballfans, die mit gebetsartigen Songs das Spiel ihrer Mannschaft begleiten. Aber alles in allem betrachtet, scheint das Gebet deutlich an Bedeutung verloren zu haben.
Tischgebete vor einer Mahlzeit, Dankgebete nach einer gelungenen Arbeit, Fürbitten, wenn etwas wichtiges ansteht, all das, was sicherlich lange Zeit das Leben von Menschen geprägt hat, gerät in Vergessenheit. - Und dann höre ich dieses Wort, das am Sonntag „Rogate“ (Betet!) besonders beachtet wird: „Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft, noch seine Güte von mir wendet“ (Psalm 66,20)
Ich frage mich, hat das Gebet es nötig, dass es an einem Sonntag besonders im Blickpunkt stehen muss, weil es an Bedeutung verloren hat, oder ist es vielleicht um seiner wesentlichen Bedeutung und Kraft gut, an einem Sonntag in besonderer Weise daran zu erinnern? Ist es vielleicht auch aufgrund der Haltung, die ein/e Betende/r einnimmt, sprich ein wenig demütig und ehrfürchtig zu sein, nicht geradezu angebracht, auch heute das Gebet wieder in den Blickpunkt zu stellen?
Bei meinem gerade beendeten Urlaub in Südtirol wurde mir in eindrucksvoller Weise deutlich, dass Ehrfurcht und Demut Eigenschaften sind, die wir Menschen nicht verlieren sollten. Majestätische Berge, wilde Flüsse und naturbelassene Wälder, die geräuschvoll darauf aufmerksam machten, dass dort prachtvolles Leben herrscht, zeigten mir erneut den Respekt, den wir vor unserer Schöpfung haben sollten. Sie zeigten mir, wie wunderbar unsere Erde geschaffen ist und dass wir Menschen Achtung haben sollten, diese zu erhalten. In diesem Sinne möchte ich schon etwas ehrfürchtiger und auch demütiger bleiben.
Das Gebet kann mir dabei helfen, denn es stellt mich in einem anderen Bezugsrahmen, der mir deutlich macht, dass ich nicht der Macher bin, der ich manchmal gern sein möchte, sondern ein Mensch, der – wie es im zweiten Teil des Wochenspruches heißt – von der Güte Gottes lebt, die sich nicht von mir wendet. Deshalb möchte ich gern ein fröhlicher und aufgeschlossener Beter bleiben und mich weiterhin tragen lassen von der Güte Gottes, die mein Leben mit vielen wunderbare Momenten anfüllt, für die ich dankbar sein darf.
Ihr Pastor Rainer Hoffmann
Ev.-luth. Kirchengemeinden Jacobi- und Mariendrebber