am 18. März 2023
Irgendwann ist es passiert. Da habe ich eine Brille verordnet bekommen. Gleitsicht. Ein paar Tage musste ich üben, damit ich mich mit der Brille sicher fühle. Schließlich haben sich die Augen an alles gewöhnt. Vor allem: Die Konturen waren wieder schärfer und die Farben erschienen mir in der Wahrnehmung intensiver.
Meinen Glauben kann ich mit einer Brille vergleichen. Die Glaubensbrille ist bestimmt nicht rosarot, wie manche meinen. Im Gegenteil: Sie vermittelt eine tiefe Sicht auf mein Leben und auf die Welt. Viele von uns probieren sie schon in der Kindheit an, manche legen sie zwischenzeitlich beiseite oder lassen sie ganz weg. Andere entdecken die Glaubensbrille erst zu einem späteren Zeitpunkt ihres Lebens.
Im Moment scheinen immer weniger Menschen nach der Perspektive suchen, die ihnen der Glauben fürs Leben bieten kann. Es ist nicht mehr selbstverständlich, nach dieser Brille zu greifen. Das kann daran liegen, weil die Gläser Kratzer bekommen haben. In der Kirche, in den Gemeinden läuft es nicht immer rund – und das hat dann auch Auswirkungen auf unsere Glaubenssuche. Und manchmal passieren im Leben auch Dinge, die den Glauben in Frage stellen.
Wenn ich in diesen Tagen der Passionszeit dem Weg Jesu folge, dann bekommt mein Blick eine besondere Tönung. Ich sehe die Anfeindungen, die Jesus erfährt, aber auch sein Vertrauen zu Gott, das ihn auf Kurs hält. Ich sehe Menschen, die verzweifelt sind und denen er aufhilft. Ich sehe Freunde, die ihn im Stich lassen. Das sind wirklich keine rosaroten Geschichten, die die Bibel erzählt. Sie geben den Blick frei auf die Abgründe des Lebens. Sie lassen zugleich aber eine Kraft erkennen, die einen Menschen in schwierigen Momenten zu tragen vermag. Ich bin überzeugt: Ohne diese biblische Brille wären wir aufgeschmissen.
Der kommende Sonntag wird in kirchlicher Sprache Lätare genannt. Er handelt von der Freude mitten in der Passionszeit. Ein Lied für diesen Sonntag heißt: Jesu, meine Freude! Es zieht eine unerschrockene Fröhlichkeit auf mitten in den Dramen unseres Lebens und unserer Welt. Mit der Glaubensbrille ist diese Fröhlichkeit zu erkennen. Mein Mut wird gestärkt. Verzagtheit weicht. Ich bin froh, diese Brille tragen zu können und damit ganz deutlich zu sehen: Weicht ihr Trauergeister, denn mein Freudenmeister, Jesus tritt herein! (EG 396)
Michael Krause, Pastor in Freistatt