am 24. Juli 2021
„Guten Morgen“, sagt mein Schaf zu mir, und ich denk mir: „Was soll das? Dies ist doch kein guter Morgen für mich.“
„Warum nicht?“, fragt mein Schaf (es kann offensichtlich Gedanken lesen). „Alles ist doch gut. Die Welt dreht sich, es ist Sommer, es ist Samstag, du kannst ausschlafen und außerdem sind Schulferien.“
„Ja schon“, sage ich, „aber …“
„Oooh man! Musst du immer gleich ‚aber‘ sagen?“, sagt mein Schaf.
„Jetzt lass mich doch einfach ausreden!“, fahre ich dazwischen. „Es ist Sommer, die Ferien haben angefangen, ja, es ist auch Samstag und ich kann ausschlafen, aber (!) das ist doch wohl kein Grund zur Freude. Denn: ich habe Fernweh und kann nicht weg! Jedenfalls nicht so richtig. Denn ich bin ein vorsichtiger Mensch. Deshalb will ich nicht dahin, wo viele Menschen sind. Und immer, wenn ich denke, ich habe einen Ort gefunden, an dem sonst bestimmt keiner ist, haben das alle anderen auch gedacht und sind schon vor mir da. Ich fühle mich ausgebremst.“
„Na, hör mal!“, sagt mein Schaf. „Du bist ganz schön undankbar. Was soll ich denn sagen? Ich sitze den ganzen Tag zwischen Deinen Büchern im Regal und schaue dir beim Arbeiten zu. Du nimmst mich gar nicht mehr mit.“
„Tut mir leid, aber ich hatte nicht mehr so viele Einsätze, bei denen du hättest mitkommen können.“, gebe ich zu. „Wegen Corona, das weißt du ja.“
„Jetzt werde nicht wieder so wehleidig.“, sagt mein Schaf. „Mach es wie ich. Ich denke an meinen Spezial-Schaf-Psalm Nr. 23 aus der Bibel. Darin beten die Schafe, dass der Hirte ihnen eine grüne Weide gibt mit frischem Wasser. Das ist auch gut für die Seele. So gut, dass man auch im finstern Tal kein Unglück fürchten muss, weil der Hirte gut aufpasst. Ganz ehrlich, Pastorin, ich habe schon auf so vielen saftigen, grünen Wiesen in meinem Leben gestanden. Von denen können Geist und Seele lange leben und so manches Tal durchstehen.“
„Genau so ein Urlaubssehnsuchtsfernweh nach grüner Wiese (oder blauem Meer) habe ich doch.“, sage ich. „Und du meinst, ich soll damit zufrieden sein, dass ich ja schon tausend Mal am Meer war?“
„Wie du diese Sommerzeit findest, ist deine Entscheidung in deinem Kopf.“, sagt mein Schaf. „Du kannst meckern, was alles nicht geht, oder dankbar sein für das, was schon alles ging in deinem Leben. Ich“, sagt mein Schaf jetzt auch noch höchst zufrieden, „bleibe bei meinem Psalm: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln!“
„Okay“, sage ich, „ich wünsche dir auch einen guten Morgen und stehe jetzt auf.“
Kathrin Wiggermann, St. Michaelis, Diepholz