am 5. Oktober 2024
Der überwiegenden Mehrheit in Deutschland geht es gut. Wir haben mehr als genug: Essen, Frieden, eine ordentliche medizinische Versorgung, seit 75 Jahren Demokratie und vieles mehr. Für all das Gute können wir dankbar sein – den Menschen, die dafür sorgen, dass wir zu essen haben, dem medizinischen Personal, den Menschen, die sich für Freiheit und Gerechtigkeit einsetzen. Als Christ glaube ich, dass Gott hinter dem Guten steht, dass letztlich er derjenige ist, der dafür sorgt, dass es uns gut geht.
Einmal im Jahr steht dieses Danken mit dem Erntedankfest im Mittelpunkt des kirchlichen Lebens. Dabei ist einmal pro Jahr doch ein bisschen wenig.
Ich habe den Eindruck, dass in unserer Gesellschaft das Gute oft als vollkommen selbstverständlich angesehen wird – dass man nicht dankbar sein muss, sondern dass man viel eher ein Recht darauf hat, dass alles so bleibt. Und wenn es doch mal weniger wird, sind die anderen Schuld – mit Vorliebe die Menschen, die an die Grenzen Deutschlands kommen, weil es ihnen zuhause überhaupt nicht gut geht.
Es ist ein ängstlicher Blick, mit dem viele auf das Gute in ihrem Leben gucken. Es ist der Blick, der dazu führt, dass man nicht teilen mag, dass man fremdenfeindlich wird, dass rechtsextremistische Parteien immer stärker werden. Es ist ein Blick der Sorge und nicht der Freude. Letztlich ist es ein Blick, der die Menschenwürde der anderen aus dem Blick verliert, weil man sich selbst im Mittelpunkt sieht. Ein egoistischer Blick, der der Gesellschaft schadet.
Mit Erntedank sind wir zu einem Blickwechsel eingeladen – vielmehr: aufgefordert. Wir dürfen dankbar wahrnehmen, was wir alles Gutes im Leben haben – dass es eben nicht selbstverständlich ist, sondern uns geschenkt wurde. Solch ein Blick der Dankbarkeit weitet den Blick – auf den, der uns das alles schenkt (also auf Gott), und auf diejenigen, denen es nicht so gut geht wie uns. Solch ein Blick lässt uns bereitwilliger unseren Überfluss teilen, weil wir keine Angst vor Verlust müssen – Gott sorgt ja für uns.
Ein dankbarer Blick führt dazu, dass es allen Menschen in unserer Gesellschaft – egal ob sie schon immer hier wohnen oder dazu gekommen sind – gut geht. Wir brauchen diesen Blickwechsel.
Ich wünsche Ihnen allen einen frohen Blickwechsel und ein gesegnetes Erntedankfest.
Ihr Marten Lensch,
Superintendent im Kirchenkreis Grafschaft Diepholz