am 11. September 2021
Da liegen sie wieder: die Spekulatius, Weihnachtskekse und Lebkuchen. Pünktlich zum Anfang des Schuljahres fanden sie ihren Platz in vielen Geschäfte. Sollten etwa Marzipankartoffeln oder Pfeffernüsse in die Schultüte. Freuen sich Schulanfänger darüber? Vielleicht! Ich bin trotzdem irritiert. Denn bald steht Erntedank vor der Tür. Soll ich es etwa mit Glühwein und Stollen feiern? Danach folgen acht Wochen bis zum Advent. Eine lange Zeit voller Feste, Feier- und Gedenktage! Diese zwei Monate – ein Sechstel des Jahres – werden schlichtweg ignoriert.
Der Reformationstag z.B.: Luther hat mir die Augen geöffnet für den barmherzigen Gott.
Oder Totensonntag bzw. Allerheiligen: Meine Tage sind begrenzt, mein Leben ist endlich. Auch der 9. November oder Volkstrauertag: Da geht es um Schuld und Versöhnung, um die vergangene Unfähigkeit, im Frieden zu leben, und zugleich um die Mahnung, es in Zukunft besser zu machen.
Und der Buß- u. Bettag lädt mich ein, genau hinzusehen: Was alles trennt mich von Gott und von anderen Menschen! Solche Fragen und Themen berühren mich als Mensch zutiefst!
Doch lässt sich so etwas eben nicht vermarkten!
Ich nehme mir Zeit, den Augenblick zu genießen, will zunächst aufmerksam die „fünfte Jahreszeit“ spüren, von der Kurt Tucholsky ein schönes Gedicht geschrieben hat:
Wenn der Sommer vorbei ist und die Ernte in die Scheuern gebracht ist, wenn sich die Natur niederlegt, wie ein ganz altes Pferd, das sich im Stall hinlegt, so müde ist es - wenn der späte Nachsommer im Verklingen ist und der frühe Herbst noch nicht angefangen hat
- dann ist die fünfte Jahreszeit.
Nun ruht es. Die Natur hält den Atem an; … im Augenblick steht das Räderwerk still.
So vier, so acht Tage - Und dann geht etwas vor. Eines Morgens riechst du den Herbst.
Es ist noch nicht kalt; es ist nicht windig; es hat sich eigentlich gar nichts geändert - und doch alles. Noch ist alles wie gestern: Die Blätter, die Bäume, die Sträucher ... aber nun ist alles anders ... und du hast gewünscht, es solle nie, nie aufhören. Spätsommer, Frühherbst und das, was zwischen ihnen beiden liegt. Eine ganz kurze Spanne Zeit im Jahre.
Es ist die fünfte und schönste Jahreszeit.
Dann will ich mir die Zeit nehmen, Erntedank zu feiern, Gott für seine Gaben zu danken. Will mich am Reformationstag über unseren gnädigen Gott freuen und bewusst im November die Tage der Trauer und der Erinnerung begehen.
„Alles hat seine Zeit“, schreibt der Prediger Salomo. Und diese Zeit will ich auskosten. Auf Punsch und Adventskekse freue ich mich zwar schon: Aber ich werde sie erst nach dem Ewigkeitssonntag aus den Regalen nehmen.
Pastor Gerald Engeler
Ev.-luth. Kirchengemeinden
Schwaförden-Scholen + Sulingen