am 26. Februar 2022
Vor kurzem erreichte mich folgende Nachricht: „Zugehörigkeit zur Kirche sinkt in Deutschland unter 50 Prozent.“ Ups. Das heißt: Nicht einmal mehr jede(r) 2.Deutsche gehört einer der beiden großen Kirchen an. Das macht mich nervös und nachdenklich. Dazu kommt die Tatsache, dass rund 97% der Mitglieder nur noch selten den klassischen Sonntagmorgen-Gottesdienst besuchen. Ich frage mich: Sind wir als Kirche tatsächlich noch nah an den Menschen? Ich weiß, eine brisante Frage. Ich muss hier an Martin Luther denken. Von ihm stammt der Klassiker „Dem Volk aufs Maul schauen.“ Mit dieser für uns unfeinen Wortwahl brachte Luther sein Anliegen auf den Punkt: nah am Menschen zu sein, d.h. „die Sprache, die Musik und die Form des Gottesdienstes am Lebensgefühl der Menschen zu orientieren“. Luther ´klaute´ beispielsweise die Melodien der Songs, die in den Kneipen gesungen wurden und schrieb dazu eigene Texte („Eine feste Burg ist unser Gott). Damit war Luther am Puls der Zeit. Die Kirche wurde plötzlich kulturell relevant und die Menschen spürten, das, was hier grad im Gottesdienst geschieht, hat etwas mit meinem Leben zu tun: es ist meine Sprache, meine Musik und entspricht meiner Lebenswelt. Ich möchte diese Tradition ernstnehmen und aufmerksam sein, was die Menschen „heute“ bewegt. Alle großen Traditionen der Kirche haben einmal als Neuerungen angefangen. Sie sind ein gutes „Hilfsmittel“, das Rad nicht immer neu erfinden zu müssen. Aber sie müssen immer dazu verhelfen, dass wir Gott besser kennenlernen können und eine Begegnung mit Jesus Christus möglich wird. Traditionen müssen sich daher an den Menschen orientieren und nicht umgekehrt!
„Gedenkt nicht an das Frühere und achtet nicht auf das Vorige. Denn siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr´s denn nicht?“ schreibt der Prophet Jesaja. Ein kluges Wort (Gottes). Auch Jesus hat sich auf die Menschen der damaligen Zeit eingelassen. Er hat sie immer überrascht und ermutigt, sich auf neue Erfahrungen einzulassen. Und Paulus war es ein tiefes Anliegen, den Juden ein Jude und den Griechen ein Grieche zu werden, damit sie Gottes Liebe kennenlernen und in ihrem Leben erfahren.
Ich persönlich habe schon länger einen Traum. Ich fände es traumhaft, wenn manche Eltern sonntagsmorgens nicht nur „Taxi spielen“ müssten, sondern ihre Konfi-Kids liebend gerne in den Gottesdienst begleiten, weil es auch ihnen gefällt und guttut. Und dem „evangelischen Patienten“ bestimmt auch.
Michael Wendel, Pfarrverwalter / Pastor i.A., z.Zt. in Kirchdorf