am 5. November 2022
Seit einigen Monaten begleitet mich ein Zitat, dass ich einmal gehört habe: „Lieben heißt, jemandem sagen: Du sollst sein.“ Im Monat November gedenken die christlichen Kirchen in besonderer Weise der Verstorbenen und gesellschaftlich wird an Volkstrauertag der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft gedacht. Aus christlicher Sicht geht es dabei um mehr als um ein Erinnern und Gedenken, so wertvoll und wichtig das ohne Frage ist. Wenn Glaube mehr ist als Tradition oder Folklore, wenn ich nicht nur (an) etwas glaube, sondern zuerst und vor allem jemandem, dann führt mich mein Glaube unweigerlich vor die Frage, ob ich Gott glauben kann, dass er tatsächlich ein Gott des Lebens ist und dass ich in seinen Augen – mit und trotz allem, was zu mir und meinem Leben dazugehört – kostbar und wertvoll bin.
Wenn ich (IHM) das wirklich glauben kann, dann kann ich das anfangs erwähnte Zitat noch einmal neu hören und verstehen: „Lieben heißt, jemandem sagen: Du sollst sein.“ Jeder Mensch und ich selbst sind nicht einfach zufällig auf der Welt, werden nicht nur in einem ewigen Kreislauf des Lebens geboren, um zu sterben. Jeder Mensch ist mindestens in den Augen Gottes einzigartig, kostbar und wertvoll; jede und jeder darf nicht nur sein, sondern soll sein – ja, mit und trotz allem, was vielleicht im Leben nicht so gut (gewesen) ist. Und dieser Zuspruch gilt nicht nur für dieses Leben, was schon sehr viel wäre, es gilt sogar über dieses Leben hinaus.
Damit begegne ich im November der Mitte meines und unseres Menschen- und Weltbildes: Jeder Mensch ist kostbar und einzigartig; jede und jeder darf sich als geliebtes Königskind Gottes erkennen und den Zuspruch erfahren „Du sollst sein!“. Glauben darf und kann ich das, weil ich der Botschaft Jesu glaube, die dieses Grundvertrauen immer wieder in der Lebenswirklichkeit der Menschen glaubwürdig vermittelt hat. Und ich kann das glauben, weil ich an die Wirklichkeit von Tod und Auferstehung feiern, der wir jedes Jahr zu Ostern einen ganz besonderen Ausdruck verleihen.
So gedenken wir an November nicht nur der Verstorbenen in Erinnerung an Vergangenes, sondern feiern zugleich die weite Perspektive der Hoffnung auf das Leben – nicht als Vertröstung, sondern als echten Trost, der sich in der manchmal doch so harten Wirklichkeit des Lebens bewähren kann.
Ansgar Stolte
Pfarreiengemeinschaft Barnstorf, Diepholz, Sulingen