am 27. November 2021
Worauf warten wir? Auf einen weiteren Anstieg der Infektionszahlen? Oder darauf, dass sie endlich wieder sinken? Auf einen Termin für die „Booster“-Impfung? Oder darauf, dass es endlich wieder „Auffrischungsimpfung“ heißt? Auf einen erfolgreichen Abschluss der Koalitionsverhandlungen in Berlin? Oder darauf, dass endlich wirklich etwas gegen die Überhitzung der Erde getan wird?
An der Grenze zwischen Belarus und Polen warten Menschen auf Hilfe in ihrer schier ausweglosen Lage. In Kliniken, Pflegeheimen oder zu Hause warten Kranke auf Heilung, auf Linderung ihrer Schmerzen – oder darauf, dass der Tod ihrem Leiden ein Ende macht. In den Hochwassergebieten warten Menschen darauf, dass es vorangeht mit dem Wiederaufbau ihrer Häuser. Und überall auf der Welt beginnen Kinder (und nicht nur sie) spätestens jetzt, auf Weihnachten zu warten.
Auch ich warte darauf. Und merke: Die Vorfreude auf Weihnachten in mir ist nicht totzukriegen. Ich freue mich darauf, unsere Kinder und meinen Vater zu sehen – und hoffe, dass die Begegnung nicht nur online stattfinden kann, sondern „live und in Farbe“. Ich freue mich auf das Leuchten in den Augen unserer Enkelin – und bin gespannt, wie sie auf den Weihnachtsbaum reagiert (im letzten Jahr, mit fünf Monaten, war ihr der noch ziemlich egal). Vorher aber warte ich darauf, dass das Licht beginnt, sich auszubreiten: Woche für Woche eine Kerze mehr auf dem Adventskranz.
Den Menschen, die in Jerusalem auf Hilfe warten, sagt der Prophet Sacharja: „Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Retter ist er.“ Christenmenschen haben schon früh angefangen, darin einen Hinweis auf Jesus zu sehen. Auf das Kind in der Krippe, von dessen Geburt die armen Hirten zuerst erfahren und vor dem die Gelehrten aus dem Osten auf die Knie fallen. Auf das Kind, dessen Eltern mit ihm flüchten und in Ägypten um Asyl bitten müssen. Auf den Rabbi, der in Galiläa Menschen sucht, die mit ihm unterwegs sein und von ihm lernen wollen. Auf den Mann, der am Kreuz stirbt und die Grenzen des Todes sprengt.
Auf ihn warten wir im Advent. Auf ihn warte ich – und will mich nicht davon abbringen lassen, meinen Teil dazu beizutragen, dass das Licht sich ausbreitet. Das Licht der Hoffnung und der Liebe. Das Licht der Gerechtigkeit und des Friedens. Das Licht, auf das so viele mit mir warten.
Michael Steinmeyer, Pastor in Wagenfeld