am 1. Mai 2021
Was Singen bewirken kann! Nach einer unruhigen Nacht stehe ich mit trüben Gedanken auf, aber dann ist im Radio Mendelssohns „Jauchzet dem Herrn alle Welt!“ zu hören. Das kenne ich, das habe ich im Chor schon mitgesungen, es berührt mich und macht mich froh. – Oder draußen geht die Frühlingssonne auf, unsere Spatzenschar zwitschert, der Kirschbaum blüht: „Danke für diesen guten Morgen, danke für jeden neuen Tag…“ Wie schön, dass es dieses Lied gibt. – Und erinnern Sie sich, wie es war im ersten Lock-down im Frühjahr 2020, als im ganzen Land um 19 Uhr am Sonntagabend Leute vor ihre Haustür traten und „Der Mond ist aufgegangen“ sangen? Was für eine bewegende und Mut machende Gemeinschaft dadurch entstanden ist? Ja – was Singen bewirken
kann! Gerade jetzt: Es tröstet und macht froh, es befreit und verbindet miteinander.
Wirklich? Aber wir dürfen doch gerade nicht miteinander singen: Nicht im Gottesdienst, nicht im Chor, nicht in der Schule und nicht im Fußballstadion. Aber zu Hause! Und das geht, es geht gut! Wir haben nämlich einen großen Schatz, den es zu entdecken oder wieder zu entdecken gilt: Unser Gesangbuch mit seinen Trost - und Hoffnungsliedern, den Lobliedern, den Morgen- und Abendliedern. Kantate! Singt! Lasst uns das Gesangbuch wieder zu dem machen, was es für frühere Generationen ganz selbstverständlich war, zu einem Lebensbegleiter. Oder, wie Matthias Claudius sagt, zu einem alten „Freund im Hause, dem man vertraut und bei dem man Rat und Trost sucht.“ - "Mein liebes Buch“ hat neulich jemand sein Gesangbuch genannt. Und er ist jemand, dem es im Augenblick nicht gut geht, der Tage tiefer Trauer erlebt. „Bleib bei mir Herr! Der Abend bricht herein. Es kommt die Nacht, die Finsternis fällt ein. Wo fänd´ ich Trost, wärst du, mein Gott, nicht hier? Hilf dem, der hilflos ist: Herr, bleib bei mir“ (Evang. Gesangbuch 488).
Ich habe übrigens in letzter Zeit begonnen – wie in Kindheitstagen – Gesangbuchlieder auswendig zu lernen - als eine Art Arche Noah, in die man sich retten kann in schweren Zeiten.
Kantate! Singt! So heißt der Sonntag übermorgen. Ich bin zuversichtlich: Bald werden wir wieder gemeinsam singen, im Gottesdienst, im Chor, in der Schule und im Stadion. Darauf freue ich mich!
Friederike Müller, Pastorin i. E. in Diepholz