am 10. Oktober 2020
Neulich auf der Bundesstraße Richtung Sulingen kam mir ein Krankenwagen entgegen. Mit Blaulicht und Sirene fuhr er schnell an mir vorbei. Mein erster Gedanke: Da musste etwas Schlimmes passiert sein. Vielleicht ein Unfall irgendwo auf der Straße hinter mir. Doch nein, das hätte ich ja sehen müssen. Dann wahrscheinlich bei irgendjemanden zu Hause. Eventuell ein Herzinfarkt? Ein Schlaganfall? Nur ein Schnitt in den Finger war’s wohl nicht. Ein paar weitere mögliche Erklärungen fielen mir noch ein, doch eine Antwort auf meine Fragen habe ich nicht erhalten.
Das einzige, bei dem ich mir sehr sicher war: Irgendjemand hatte zum Telefon gegriffen und den Notruf gewählt. Und am anderen Ende der Leitung hörte jemand zu und schickte Hilfe. Eigentlich ganz normal bei uns in Deutschland und doch ein Wunder.
In Psalm 50 Vers 15 heißt es: „Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten und du sollst mich preisen.“ Das Erstaunliche ist, auch Gott möchte von uns angerufen werden. Er wartet darauf. Manche Christen verwenden diesen Vers wie eine Telefonnummer, um sich daran zu erinnern: 5015, Psalm 50 Vers 15. Wir können Gott anrufen, auch in der Not, auch in der Nacht. Auch dann, wenn der Krankenwagen schon unterwegs ist.
Aber kommt der Notruf auch an? Ist Gott am „anderen Ende der Leitung“ und hört mir zu? Ob wir seufzen, stammeln oder nicht mal mehr Worte mehr finden: Ich bin überzeugt, dass unsere Gebete, in welcher Form auch immer, bei ihm ankommen. Dass er sie hört, sie in ihm widerhallen, Resonanz haben. Dietrich Bonhoeffer formuliert es so: „Ich glaube, dass Gott kein zeitloses Schicksal ist. Ich bin sicher, dass er auf aufrichtige Gebete und verantwortliches Tun wartet und antwortet.“
Aber ein Wunscherfüllungsautomat ist Gott trotzdem nicht. Schon die Psalmbeter machen die Erfahrung, dass die Antwort Gottes auch mal ausbleibt. Sie richten sich dann mit der verzweifelten Frage an ihn: „Warum hast du mich verlassen?“ Diese Erfahrung, dass wir Gott nicht immer erfahren können, gehört zum Glauben dazu und ist eben kein Defizit oder Mangel oder gar ein Zeichen von Unglaube.
Mir fiel wieder der Krankenwagen ein. Ob dem Patienten wohl geholfen werden konnte? Kommen nicht auch die Rettungssanitäter und Ärzte oft an ihre Grenzen? Vielleicht war die Fahrt ganz umsonst.
Ich bin mir sicher, die Fahrt war nicht umsonst. Denn unabhängig davon, ob der Patient wieder gesund wurde. Es ist eine große Hilfe, sowohl für den Patienten als auch für die Angehörigen, zu wissen, ich bin nicht allein. Ich habe jemanden, zu dem ich mich wenden kann. Es tröstet, wenn ich merke, dass jemand bei mir ist, dem ich meine Not anvertrauen kann.
„Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten und du sollst mich preisen.“ Vielleicht fällt die Hilfe ganz anders aus, als ich es hoffe. Doch ich spüre, dass ich in meiner Not nicht allein bin.
Reinhard Thies, Pastor in Barenburg und Varrel