am 9. Juli 2022
Wir erleben viele Urlaubszeiten, viele Urlaubsorte. Je älter wir werden, je mehr. Wir erleben, wie sich unsere Ferien verändern. Im Laufe der Jahre verändert sich die Art und Weise, wie wir die Ferien wahrnehmen, so wie auch wir uns verändern. Erinnern kann ich mich noch an die Zeit, als ich so ungefähr sechs Jahre alt war. Wir fuhren in den Schwarzwald, natürlich mit dem Zug, denn ein Auto konnten wir uns damals noch nicht leisten. Was wir mitnahmen, das passte in zwei Koffer. Ich nahm natürlich den Teddybären mit. Der sah auch schon so aus, als hatte er Urlaub nötig. Meine Mutter natürlich noch mehr. Mit der doppelten Belastung Haushalt und Beruf, merkte ich ihr an, dass sie froh war, die Sorgen einmal zuhause zu lassen. Die Pension war einfach, Neun Mark fünfzig das Zimmer mit Frühstück, Wasserkrug und Waschschüssel und das Bad auf dem Flur. Das störte uns nicht. Wir waren ja doch meist draußen auf langen Spaziergängen und sonntags musste ich mit ins Kurkonzert. Das allerdings war ziemlich langweilig und Eichhörnchen gab es da auch nicht.
Später mit elf Jahren war es im Zeltlager viel aufregender. Da gab es Geländespiele, und ab und zu wurde einer nachts mit Schuhcreme eingeschmiert. Schnell waren die Schulzeugnisse und auch die gutgemeinten Ratschläge der Mutter vergessen. Der Koffer war auf der Heimfahrt viel schwerer vom Sand und all den Muscheln und Seesternen, die noch in den Taschen steckten. Ich nahm wenig mit und brachte viel zurück.
Mit 18 dann gings auf eigene Faust los. Die Unabhängigkeit kam in Form eines Interrailtickets. Mit Rucksack und Freundin ging es quer durch Europa. Im Rucksack war nur das Nötigste, das Wichtigste war ohnehin die Freundin. Obgleich man nicht sicher sein konnte, ob man die wieder mit zurückbrachte oder eine andere. Viele von uns waren unterwegs und bei einer Flasche Wein im Nachtzug, da lernt man sich schnell kennen. Gut, dass die Mutter das nicht gesehen hat. Dennoch, mir hat das gutgetan: Wir nahmen wenig mit und brachten viel mit zurück - Erlebnisse, Erinnerungen und Freundschaften.
Wir hatten Zeit, denn nach Hause zog es uns nicht.
Wenn wir heute wegfahren, dann nehmen wir mehr mit.
Aus einem kleinen Hauszelt ist ein stattlicher Wohnwagen geworden, den ein starkes Auto zieht.. Der Kofferraum ist randvoll. Ein Rucksack reicht schon lange nicht mehr. Und wenn es wirklich mal länger regnet, dann geht's ebenfrüher wieder nach Hause. Wir nehmen mehr mit, aber bringen wir auch etwas mit zurück? Nein, ich meine nicht den Campingklüngel, obwohl ich mich jedes Jahr frage, ob man denn wirklich den ganzen Hausstand mitschleppen muss.
Es sind vielmehr die Sorgen, die Steine, die noch auf dem Herzen liegen, die unausgesprochenen Konflikte mit den Kolleginnen und Kollegen, das was noch unerledigt auf dem Schreibtisch liegt, Die Sorgen die einen zurückhalten, das ist es, was sich heimlich in die Koffer schleicht.
Kennen Sie das: Ehe man sich versieht, hat man die ganze Firma mit in den Urlaub genommen. Kein Wunder, wer so viel mitschleppt, bringt wenig mit zurück an Erinnerungen, Erlebnissen und Freundschaften.
Und immer wieder sage ich mir: Also nächstes Mal, da mache ich es anders. Da lasse ich die Kirche im Dorf und die Sorgen zuhause. Da nehme ich mir endlich selbst zu Herzen, was Jesus darüber gesagt hat: "Sorget nicht! Seht die Lilien auf dem Felde wie sie wachsen: sie arbeiten nicht , sie spinnen nicht, doch selbst Salomo ist in seiner ganzen Herrlichkeit nicht so gekleidet gewesen wie auch nur eine von ihnen."
Wenn uns das wenigstens im Urlaub gelingt, einmal loszulassen von den Dingen, die uns zuhause belasten, dann wird es wirklich die schönste Zeit des Jahres, dann nehmen wir nicht viel mit aber bringen viel mit zurück an neuen Erlebnissen und Erfahrungen, von denen man ein ganzes Jahr erzählen und zehren kann.
Andreas Ruh, Klinikseelsorger