Stefan Gövert über aktuelle und zukünftige Herausforderungen für die Soziale Arbeit in der Region
Stefan Gövert, was hat Sie beruflich in die Soziale Arbeit gezogen?
„Ich habe damals ein Praktikum beim Diakonischen Werk Bramsche gemacht. Schuldnerberatung und Suchtberatung waren die Arbeitsbereiche, die ich am spannendsten fand. Das hat mich bestärkt, Soziale Arbeit zu studieren. Nach dem Studium an der Uni Vechta habe ich mein Berufsanerkennungsjahr in der Stationären Jugendhilfe gemacht. Danach einige Jahre in der Jugendberufshilfe bei der Caritas in Vechta gearbeitet. Dort habe ich fürs Jobcenter arbeitslose junge Erwachsene beraten und Berufsorientierungsmaßnahmen an Schulen organisiert. 2014 bin ich ins Diakonische Werk Diepholz-Syke-Hoya gewechselt. Hier hatte ich die Möglichkeit, in der Sozialen Schuldnerberatung mit einer halben Stelle persönliche Beratung anzubieten und mit der anderen Hälfte Präventionsarbeit in Schulklassen und Maßnahmen der Jugendberufshilfe durchzuführen. Die Kombination fand ich gut und abwechslungsreich. An der Schuldnerberatung selbst mag ich, dass die Arbeit so systematisch ist und dass man, wenn man die rechtlichen Gegebenheiten kennt, wirklich helfen kann.“
Was hat Sie ausgerechnet zum Arbeitgeber Kirche gehen lassen?
„Durch mein Praktikum hatte ich schon früh eine Verbindung zur Diakonie. Mir ist es wichtig, dass ein Arbeitgeber Grundwerte hat und sowas wie ein Leitbild, hinter dem ich stehen kann. Bei einem kirchlichen Träger ist es das christliche Menschenbild. Das sind Werte, die ich teile.“
Kurz und knackig in Ihren eigenen Worten: Was ist und was macht das Diakonische Werk Diepholz-Syke-Hoya?
„Das Diakonische Werk ist, vereinfacht gesagt, die Sozialarbeit der Evangelischen Kirche. Wir bieten unsere Beratung und Hilfsangebote kostenlos und ausnahmslos für alle Betroffenen und Ratsuchenden an, unabhängig von Konfession oder Herkunft. Inhaltlich decken wir viele Fachbereiche ab: Soziale Schuldnerberatung und Suchthilfe, Schwangeren- und Schwangerschaftskonfliktberatung, Flüchtlings- und Kirchenkreissozialarbeit, Gemeinwesenarbeit, Kurenberatung, Jugendmigrationsdienst, Jugendberufshilfe, Präventionsarbeit in verschiedenen Bereichen. Dazu kommen Projekte, die auf aktuelle Probleme reagieren. Zum Beispiel das „Respect-Coach“-Programm, in dem es darum geht, Jugendliche und junge Erwachsene für die Gefahren von Mobbing, Ausgrenzung und Gewalt zu sensibilisieren. Oder das spezielle Beratungsangebot für Geflüchtete aus der Ukraine in ihrer Landessprache.
Wir haben mittlerweile mehr als 50 Mitarbeitende und nicht nur ein breites Angebot an Themen, sondern auch an Standorten. Weil wir das gemeinsame Diakonische Werk für die Kirchenkreise Syke-Hoya und Grafschaft Diepholz sind, decken wir den gesamten Landkreis Diepholz sowie Teile der Landkreise Nienburg und Oldenburg ab. Wir können nicht nur in den größeren Orten Angebote machen, sondern auch in den ländlichen Raum hineinwirken. Neben unseren Hauptstandorten in Syke, Hoya und Diepholz bieten wir feste Beratungszeiten und Projekte in Wagenfeld, Sulingen, Bassum und im Rathaus in Stuhr an.
Weil das Diakonische Werk Teil der verfassten Kirche ist, haben wir außerdem eine enge Bindung an die über fünfzig Kirchengemeinden.“
Seit kurzem sind Sie nun auch stellvertretender Geschäftsführer des Diakonischen Werks Diepholz-Syke-Hoya. Wie kam es dazu? Und was hat Sie an der Stelle interessiert?
„Ich hatte drüber nachgedacht, irgendwann eine Leitungsposition zu übernehmen und darum Anfang des Jahres angefangen, Sozialmanagement zu studieren und berufsbegleitend meinen Master zu machen. Da passte es perfekt, dass im Diakonischen Werk der Bedarf immer größer wurde, zur Unterstützung von Geschäftsführerin Marlis Winkler die neue Stelle für eine Stellvertretung zu schaffen. Weil ich die Arbeit und Mitarbeitenden kenne, mich wohl fühle und gerne hier arbeite, habe ich mich beworben. Der Zeitpunkt passt super für mich: Jetzt kann ich das, was ich im Studium gerade lerne, auch beruflich direkt umsetzen; und gleichzeitig mache ich in der Praxis Erfahrungen, die ich ins Studium einfließen lassen kann.
Mich hat an der Stelle sehr interessiert, dass ich so viele Gestaltungsmöglichkeiten haben und an der Weiterentwicklung des Diakonischen Werkes mitarbeiten werde. Jetzt bin ich gerade dabei, mich gemeinsam mit Geschäftsführerin Marlis Winkler und Marten Lensch, dem Vorsitzendem des Diakonieausschusses und Superintendent des Kirchenkreises Grafschaft Diepholz, einzuarbeiten und die Aufgaben zu verteilen.
Aber ich bedauere es natürlich auch, dass ich mich dafür aus der aktiven Beratung von verschuldeten Menschen zurückziehen muss. Ich habe diese Arbeit wirklich gerne gemacht. Ich werde auf jeden Fall noch meine Fälle abschließen und meine Kollegin Doreen Hodde bis ins neue Jahr hinein ordentlich einarbeiten.
In meiner neuen Funktion gehe ich der Sozialen Schuldnerberatung aber auch nicht verloren. Ich übernehme die Verantwortung für einzelne Fachbereiche – als erstes für die Soziale Schuldnerberatung und für die Auswirkungen der Energiekrise, die uns momentan schon fachübergreifend beschäftigt und in den kommenden Monaten noch stärker in allen sozialen Diensten ein Problem sein wird. Wir haben zusammen mit der Kirchenkreissozialarbeit eine Arbeitsgruppe gebildet, um schnell mit Hilfsangeboten reagieren zu können.“
Wie reagieren Sie denn schnell auf die Probleme, die die steigenden Energiekosten hier in der Region verursachen?
„Aufgrund des zu erwartenden Anstiegs von Hilfesuchenden war es als allererstes wichtig, so schnell wie möglich mehr qualifizierte Haushalts- und Sozialberatung zu organisieren für Menschen, die verschuldet sind oder denen nun eine Verschuldung droht. Weil es momentan sehr schwierig ist, überhaupt Personal im Bereich der Schuldner- und Sozialberatung zu finden, haben wir erfahrene Kolleg*innen im Ruhestand aktiviert, die sofort mit ihrer Fachkompetenz einspringen können. Zum Beispiel Ulich Preuß, der jahrzehntelang sehr erfolgreich in unserer Sozialen Schuldnerberatung gearbeitet hat, macht nun wieder telefonische Beratung für Menschen, die aufgrund der Energiekosten Probleme bekommen.“
Sind Fachkräftemangel und Verschuldung durch die hohen Energiekosten momentan die Hauptthemen, mit denen das Diakonische Werk zu kämpfen hat?
„Ja. Der Markt an Sozialarbeiter*innen ist abgegrast, überall in der Sozialen Arbeit fehlt derzeit Personal. Und die Problematik der steigenden Energiepreise wird in den nächsten Monaten alle unsere Fachbereiche stark beschäftigen. Weil zusätzlich zu den Menschen, die von Sozialleistungen leben, eine Gruppe neu dazu kommt, die vorher nicht auf unsere Hilfsangebote angewiesen war. Es sind genau die Zahlen, die die Medien transportieren – die Energierechnungen verzwei-oder verdreifachen sich sogar. Das stellt auch Menschen vor Probleme, die bisher finanziell noch über der Grenze zu Sozialleistungen waren. Zum Jahreswechsel kommen die Abrechnungen, da erwarten wir einen großen Anstieg von Hilfesuchenden.“
Welche Herausforderungen erwarten Sie in den nächsten Jahren für die Diakonie hier in der Region?
„Ich kann mir vorstellen, dass es für ältere Menschen im ländlichen Raum schwieriger wird und dadurch neue Bedarfe für Hilfsangebote entstehen werden. Alles wird digitaler, Banken ziehen sich aus dem ländlichen Raum zurück, Geschäfte machen dicht, weil mittlerweile vieles übers Internet läuft. Menschen, die nicht digital unterwegs sind, werden möglicherweise abgehängt. Familie zieht weg, die Kinder arbeiten in einer Großstadt oder international, ältere Menschen bleiben zurück. Das birgt Gefahren wie Vereinsamung, Armut und auch Suchtproblematiken im Alter.
Durch Corona ist vieles weggebrochen und teilweise nicht wieder aufgenommen worden. Kirchliche Angebote und Vereine merken, dass immer weniger Menschen an ihren Strukturen teilnehmen. Ich denke, dass das zu Problemen führen kann.
Zum 1.1.2023 erwarten wir die Einführung des Bürgergeldes und die Reform des Wohngeldgesetzes. Beide Gesetze sollen zu Verbesserungen und Erleichterungen führen, allerdings sind diese Veränderungen sehr kurzfristig verabschiedet worden, und insbesondere die Wohngeldreform wird wohl zu Verzögerungen in der Umsetzung bei Ämtern und Behörden führen. Um der Verunsicherung in diesen Übergangsphasen etwas entgegenzusetzen, brauchen wir dringend Hilfsangebote und qualifizierte Beratung für Betroffene. Dafür setzen wir uns ein.“
Warum sollten Menschen, die auf der Suche nach einem beruflichen Weg für sich sind, in die Soziale Arbeit gehen? Was hat ein Arbeitgeber wie das Diakonische Werk Diepholz-Syke-Hoya zu bieten?
„Eine gute Arbeitsatmosphäre in einem engagierten Team. Eine an den TVöD angelehnte Bezahlung. Einen Arbeitgeber mit einem sozialen, familienfreundlichen Leitbild. Eine spannende, sehr abwechslungsreiche Arbeit. Wir haben so viele Arbeitsfelder und Themen; man kann sich in fast allen Bereichen spezialisieren. Und in den unterschiedlichsten Zielgruppen und Konstellationen arbeiten, je nachdem, was einem liegt – mit Kindern und Jugendlichen, mit Erwachsenen, mit Senioren; mit Gruppen, mit Schulklassen, in Projekten, in persönlicher Beratung...
Außerdem hat man in der Sozialen Arbeit sehr gute Jobchancen. Wenn man qualifiziert ist, findet man immer und überall einen guten Job.
Ich kann jedenfalls für mich persönlich sagen: Es ist eine wichtige und sinnstiftende Arbeit, die nicht langweilig wird.“
Miriam Unger