DIEPHOLZ. Jeder Mensch hat einen Namen. Aber manchmal kommt es auch vor, dass jemand stirbt, und sein Name stirbt mit ihm. Weil die Person keine Angehörigen hat, kein Arbeitsumfeld, keinen festen Wohnsitz, kein gesellschaftliches Standing, kein Geld, keinen Besitz, nichts Sichtbares, das von ihr übrig bleibt. Bei obdach- und mittellosen Menschen ist das häufig der Fall. Wenn sie sterben, ist es Aufgabe der Stadt, sie bestatten zu lassen. Und das geschieht in der kostengünstigsten Form, in der Regel in einem anonymen Urnengrab. Kein Grabstein, kein Kreuz mit einer Inschrift erinnern daran, dass dieser Mensch einmal gelebt hat. Für Marten Lensch, Superintendent des Kirchenkreises Grafschaft Diepholz, eine nicht hinnehmbare Vorstellung: „Es muss für jeden Menschen, egal ob arm oder reich, die Möglichkeit geben, würdevoll bestattet zu werden und mit Namen in Erinnerung zu bleiben. Außer, die Verstorbenen selbst möchten es ganz ausdrücklich nicht."
Als Theologe beruft sich Lensch auf die Bibel: „Da heißt es in Jesaja 43: ,Fürchte Dich nicht, ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen, Du bist mein.‘ Oder im Lukas-Evangelium: ,Freut Euch, dass Eure Namen im Himmel aufgeschrieben sind‘.“ Dass diese Namen nicht nur im Himmel, sondern auch auf dem örtlichen Friedhof sichtbar sein sollen, war den Mitarbeitenden des Tagestreffs „Die Arche“ ein großes Anliegen. Auf ihre Initiative hin schlossen sich Evangelische Kirche und Diakonie in Diepholz mit Bethel im Norden, der Caritas und den katholischen Kollegen zu einem Bündnis zusammen und riefen die Aktion „In Würde bestatten“ ins Leben.
„Unser Name gehört zu uns wie unsere Menschenwürde. Aber in Diepholz versterben jedes Jahr zehn bis 15 Menschen mittellos, deren Namen nirgendwo auf dem Friedhof mehr zu finden sind“, bedauert Marten Lensch. Das ist nun anders. Seit Anfang diesen Jahres wird auch bei Sozialbestattungen ein Namensschild an der Stele angebracht, die an die Verstorbenen erinnert – „genauso wie für jeden anderen, der sich für die Bestattung auf einem Urnenfeld entschieden hat“, sagt Lensch. „Es gibt keinen Unterschied.“
Die Mehrkosten durch die Namensschilder betragen im Vergleich zu einer „gewöhnlichen“ anonymen Sozialbestattung 278,50 Euro pro Verstorbenem. Die Kosten teilen sich die Stadt und das Aktionsbündnis. „Dafür sammeln wir Spenden“, erklärt Lensch. „Das Aufkommen läuft noch sehr schleppend. Für dieses Jahr reicht es, aber es dürfen sich gerne noch mehr Menschen beteiligen.“
Außerdem war dem Arbeitskreis wichtig, dass es auch das Ritual einer Würdigung der Toten gibt: „Wenn wir wissen, dass jemand in der Kirche war, es gibt aber weder Angehörige noch ist etwas vom Leben bekannt, dann wird bei der Trauerfeier wenigstens ein Psalm, ein Vaterunser und ein Segen am Grab gesprochen“, so der Chef des Kirchenkreises. Zusätzlich lädt das Bündnis einmal im Jahr zu einer besonderen Gedenkveranstaltung ein.
Dass bei der ersten Veranstaltung auch die Stadt mit mehreren Ratsmitgliedern aus verschiedenen Parteien vertreten war, ist für Marten Lensch ein wichtiges Signal: „Es ist schön, dass es so sichtbar war, dass die Stadt unser Anliegen in einem breiten Konsens mitträgt.“
Warum es sich lohnt, sich für die Würde von Menschen einzusetzen, die bereits tot sind – darüber muss im Arbeitskreis gar nicht diskutiert werden: „Das ist eine Frage der Menschenwürde – zuallererst unserer eigenen“, sind sich die Mitglieder einig. „Wer wir sind, entscheidet sich nicht an unserem Besitz oder unserem Ansehen, sondern daran, wie wir mit unseren Mitmenschen umgehen. Wie wir denen helfen, denen keiner hilft; wie wir an die denken, an die sonst kaum jemand denkt. Es sollte niemand unbemerkt bestattet werden, denn es ist wichtig, dass es einen Ort gibt, an dem die Persönlichkeit des Verstorbenen in Erinnerung bleibt. Niemand ist ohne Namen. An den Namen binden sich gemeinsame Erinnerungen, die eigene Lebensgeschichte, Menschsein, Einzigartigkeit. Und dieses Recht erlischt nicht mit dem Tod.“
Miriam Unger