Der Kirchenkreis Grafschaft Diepholz unterstützt den „Palermo-Apell“, tritt dem Aktionsbündnis zur Seenotrettung bei und engagiert sich für die Bekämpfung von Fluchtursachen und Integration vor Ort
Weit sichtbar und in Signalfarbe leuchtet sie vom Turm der St. Nicolai-Kirche in Diepholz: Die orangefarbene Rettungsweste. Sie ist das Symbol für Solidarität mit Menschen, die vor Armut, Hunger, Krieg, Gewalt, Naturkatastrophen übers Mittelmeer flüchten. Der Kirchenkreis Grafschaft Diepholz bezieht zu diesem Thema eine klare Position. In seiner letzten Sitzung in diesem Jahr hat das Parlament des Kirchenkreises, der Kirchenkreistag (KKT), beschlossen, mit einer eigenen Erklärung die Rettungsmaßnahmen für Geflüchtete im Mittelmeer und den sogenannten „Palermo-Apell“ zu unterstützen – eine Forderung des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Dr. Heinrich Bedford-Strohm, und des Bürgermeisters von Palermo, Leoluca Orlando. Darüber hinaus ist der Kirchenkreis nach Beschluss des Kirchenkreisvorstandes dem Aktionsbündnis „united4rescue“ beigetreten.
„Sich um Fremde zu kümmern und Schwachen zu helfen ist seit jeher christliches Selbstverständnis“, erklärt Marten Lensch, Superintendent des Kirchenkreises Grafschaft Diepholz, „und es ist uns wichtig, dass diese biblische Botschaft nicht nur gepredigt wird, sondern auch sichtbare Gestalt in unserer Welt annimmt.“
Im Evangelium nach Matthäus steht: „Ich bin ein Fremder gewesen, und Ihr habt mich aufgenommen“ – das gilt aus Marten Lenschs Sicht für Christen damals wie heute: „Wir können und dürfen Menschen, die übers Mittelmeer fliehen und dabei in Lebensgefahr geraten, nicht einfach ihrem Schicksal überlassen. Ihre Rettung ist ethisch und theologisch unsere Pflicht.“ Darum wendet sich der Kirchenkreistag auch entschieden gegen die Kriminalisierung von Seenotrettern: „Menschen in Seenot zu retten ist kein Verbrechen, sondern ein Akt der Nächstenliebe und Menschlichkeit.“
Die Staatengemeinschaft habe für diese Menschen eine Verantwortung zu übernehmen, und diese Verantwortung mahnt der Kirchenkreistag Grafschaft Diepholz an. In seiner Erklärung fordert das kirchliche Parlament die Europäische Union und mit ihr alle Mitgliedstaaten auf, die zivile Seenotrettung nicht zu kriminalisieren und sie stattdessen mit staatlicher Hilfe und weiteren Maßnahmen zu unterstützen und gleichzeitig politische Angebote und Lösungen zu entwickeln, um Fluchtursachen zu bekämpfen und zu beseitigen.
Mit dem Aktionsbündnis „united4rescue“ setzt die evangelische Kirche ein politisches Signal: Die Bündnis-Partner aus Kirchen, Kommunen, Vereinen und Initiativen haben sich zusammengeschlossen, um für den Kauf eines Rettungsschiffs zu spenden und zu sammeln. Das Schiff soll unter Regie der Seenotrettungsorganisation „Sea-Watch“ schon Ostern 2020 in den Einsatz starten und Flüchtlinge im Mittelmeer aufnehmen.
„Die Unterstützung für dieses Projekt läuft ohne Kirchensteuermittel“, betont Marten Lensch. „Wir werden im kommenden Jahr hier vor Ort dafür sammeln und zu einer kirchenkreisweiten Kollekte aufrufen. Daneben werden wir auch Projekte zur Bekämpfung von Fluchtursachen durch Kollekten fördern. Denn den Delegierten im Kirchenkreistag ist es wichtig, das Gesamtpaket zu unterstützen und nicht nur an die Symptome, sondern an die Wurzeln des Problems zu gehen.“
Für die Bekämpfung von Fluchtursachen wie Armut, Hunger, Naturkatastrophen, Krieg und Chancenlosigkeit in ärmeren Ländern engagiert sich der Kirchenkreis Diepholz seit langer Zeit intensiv. Sei es in kleineren, persönlichen Projekten wie der Partnerschaft mit der Bibelschule in Baboua (Zentralafrika) oder in den weltweit organisierten Maßnahmen von „Brot für die Welt“, die ganzjährig unterstützt werden, aber gerade jetzt in der Weihnachtszeit wieder ins Blickfeld der Öffentlichkeit rücken – „alle diese Aktionen sind wichtig, denn sie haben das Ziel, den Menschen ein Leben vor Ort zu ermöglichen, ohne dass sie fliehen müssen“, hebt Marten Lensch hervor.
Sind sie aber bereits als Flüchtlinge nach Deutschland gelangt, gelte es, die Menschen sozial und diakonisch zu begleiten, um eine Integration zu ermöglichen. Kirchengemeinden widmen sich dieser Aufgabe schon seit jeher. In den Kirchenkreisen Grafschaft Diepholz und Syke-Hoya wirkt dabei in einem ganz entscheidenden Maß das gemeinsame Diakonische Werk mit, das seine für jeden Menschen offenen, kostenlosen Sozialen Dienste in den vergangenen Jahrzehnten immer stärker professionalisiert hat.
Gerade im Kirchenkreis Diepholz hat eine besonders breit aufgestellte Flüchtlings- und Migrationsarbeit Tradition. Marlis Winkler, Geschäftsführerin des Diakonischen Werks Diepholz – Syke-Hoya, gibt einen Überblick:
Seit 25 Jahren gibt es im Diakonischen Werk den Jugendmigrationsdienst, der sich mit vielen Beratungs- und Hilfsangeboten wie Sprachförderung, verschiedenen Kooperationen mit Schulen und Integrations-Freizeiten speziell um Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene und ihre Familien kümmert.
Der Bereich der Flüchtlingssozialarbeit wurde in den vergangenen Jahren immer weiter ausgebaut und läuft seit 2015 in Kooperation mit der Stadt Diepholz. Die Mitarbeiter*innen beraten und begleiten die der Stadt zugewiesenen Flüchtlinge, helfen mit Formularen, Anträgen und in den verschiedensten Notsituationen, betreiben Netzwerkarbeit und bilden ehrenamtliche Helfer fort.
Auch in den Gemeinden des Kirchenkreises werden immer wieder Angebote aufgebaut und installiert, die den alteingesessenen und neuen Bürgern Begegnungsstellen, Austausch und Hilfe bieten. Institutionen wie das Sprachcafé in Diepholz, das Café International in der Dümmer-Region, der Internationale Frauentreff im Sulinger Land, die „Runden Tische“ in Wagenfeld, Barnstorf, Diepholz und Sulingen sind nur einige dieser Treffpunkte. Es gibt Fortbildungen und Beratungsangebote für Flüchtlinge und ehrenamtliche Helfer*innen, Freizeit- und Bildungsangebote für Kinder und Jugendliche, Hilfen für Familien und vieles mehr.
„Kirchengemeinden wie Wagenfeld und Lemförde sind schon sehr lange aktiv auf diesem Arbeitsfeld“, sagt Marlis Winkler, „aber auch in allen anderen Kirchengemeinden in unserem Gebiet sind in den vergangenen Jahren Netzwerke und Angebote für Geflüchtete entstanden.“
In all dem werden die christlichen Werte sichtbar, die Superintendent Marten Lensch und sein Kirchenkreis sich mit Blick auf die Flüchtlingssituation für die Zukunft noch deutlicher wünschen.
Am Aschermittwoch (26. Februar) kommt der EKD-Ratsvorsitzende Dr. Heinrich Bedford-Strohm nach Freistatt, um beim Jahresempfang des Kirchenkreises über die Forderungen für die Flüchtlingshilfe, den Fortgang der Verhandlungen und den aktuellen Stand im Aktionsbündnis „united4rescue“ zu sprechen.